GEORGIA RUSSELL, Fenster auf ungezähmte Natur

GEORGIA RUSSELL, Fenster auf ungezähmte Natur

Georgia Russell beim Arbeiten zuzuschauen, ist einfach faszinierend, wie die aus dem schottischen Elgin stammende Künstlerin mit einem Skalpell in die von ihr bemalten Leinwände Ornamente und Streifen schneidet, die dann rhythmische dreidimensionale Formen und Bewegungen ergeben. Ihre Kreationen erinnern an die im Winde wehende Graslandschaft der Highlands mit all ihren Farben und Lichteinflüssen oder an von Pflanzen bedeckte Fenster, die Licht durchscheinen lassen und dahinter architektonische Elemente zu erahnen sind.

Georgia lebt und arbeitet heute mit ihrem Mann dem venezolanischen Maler Raul Illarramendi und ihren zwei Kindern bei Paris. Ihre beindruckenden Werke sind heute in Ausstellungen rund um die Welt zu sehen. Einige ihrer Werke befinden sich auch in Sammlungen, wie zum Beispiel in der des Centre Pompidous in Paris.

Du lebst und arbeitest in Méru, ein charmanter Ort in der Nähe von Paris. Was hat dich eigentlich dazu gebracht, nach Frankreich zu ziehen, nachdem du dein Masterstudium am Royal Collage of Art beendet hattest?

Im Rahmen meines Masterstudiums am Royal College of Art in London, verbrachte ich Zeit in einer Künstlerresidenz an der Cité des Arts Internationale in Paris, um an meinem Projekt der Buchskulpturen zu arbeiten. Ich habe dort Recherchen betrieben, um das passende Arbeitsmaterial dafür zu finden. Deswegen war es für mich offensichtlich nach meinem Master wieder nach Frankreich zurückzukehren.

Das war schon eine Weile her! Nun bist du eine erfolgreiche Künstlerin. Was war die Inspirationsquelle deiner neuen Ausstellung, die zurzeit in der Galerie Karsten Greve in Paris gezeigt wird?

Die aktuelle Ausstellung zeigt den Sprung von meinen Werken, die hinter Plexiglas liegen, zu grossflächigen Bildern auf Leinwänden.

Ich wollte auf grossen Flächen arbeiten und sehen, wie es ist, richtige großflächige «Gemälde » zu machen.

Helen Frankenthaler, die die Vorder- und Rückseite eines Bilde verwendet hatte, hat mich dazu inspiriert sowie auch Clyfford Stills vertikale Kompositionen.

Diese großflächigen Gemälde werden fast zu Skulpturen. Du schneidest Ornamente aus oder feine Schnittlinien mit einem Skalpell hinein, die dann wieder zusammengesetzt werden, indem du mehrere Bilder miteinander verflechtest, und so ein dreidimensionaler Effekt entsteht mit außergewöhnlichen Bewegungen. Kannst du ein bisschen mehr dieses Konzept «kreativer Destruktion » beschreiben ?

Ich interessiere mich für die Hinterseite, die negative Seite von Materialen, und wie sie anders ist. Aber ich sehe das nicht als Zerstören, sondern eher wie ein Wiederaufbauen. Mich fasziniert die Idee, dass etwas seine Form geändert hat und nicht mehr zu seiner ursprünglichen Gestalt zurück kann.

Dieses Realisieren, dass es kein Zurück mehr gibt, erzeugt dann Emotionen. Diese Gefühle müssen nichts mit Verlust zu tun haben, sondern sie können auch etwas Befreiendes bewirken.

In deiner Arbeit wiederholst du immer wieder und mit grosser Präzision die gleiche Geste. Wie fühlst du dich, wenn du nach Stunden, Tage, Wochen dieses ständigen Wiederholens einer Bewegung dann mit einem Bild fertig bist ?

Diese Handbewegungen sind für mich alle sehr verschieden und gar nicht repetitiv, jeder Pinselstrich, jeder Einschnitt ist anders. Ich liebe es, total konzentriert an einer Komposition zu arbeiten. In diesen Momenten vergesse ich alles um mich herum, und alles woran ich denke sind Formen und ihre Effekte, Farbkombinationen, negativ und positiv, Vorderseite, Rückseite, Bewegungen.

Diese Bewegungen in deinen Bildern erinnern mich an eine Art Choreografie von Linien und Formen, an eine Art moderner Tanz. Ich denke besonders an die Tänzerin Isadora Duncan, die einmal sagte: « Lass nicht das Wilde in dir zähmen. » Was denkst du darüber?

Das ist ein super Zitat! Ich sollte mir das jeden Tag sagen!

Du lebst mit dem venezolanischen Künstler Raul Illarramendi zusammen. Fragst du ihn manchmal nach seinem Rat?

Ja, wenn wir Zeit haben!
Wir sind beide sehr beschäftigt und unser Tagesablauf ist sehr ausgefüllt. Aber wenn ich wirklich irgendwo hänge oder Zweifel habe, tut es immer gut, mit ihm darüber zu sprechen.

Und wenn es nun dein voller Terminkalender als Künstler und auch als Mutter erlaubt, gehst du bestimmt manchmal in Museen und Ausstellungen. Und stelle dir vor für eine Nacht im Louvre Museum eingesperrt zu sein! In welcher Abteilung würdest du die Nacht verbringen? 

Normalerweise gehe ich immer direkt zur Gemäldesammlung, aber erst kürzlich habe ich diese Gewohnheit gebrochen und bin in die Abteilung der assyrischen Ausgrabungen gegangen, wo ich auf die Schutzdämonenstatuen mit Stierkörper, Flügel und menschlichem Kopf gestossen bin, die auch Lamassu oder auch Schedu genannt werden. Ihre Geschichte und ihre Symbolik sind extrem faszinierend.

Was geht dir durch den Kopf, wenn du an den Iran denkst?

Ich denke hauptsächlich an die Künstlerin Schirin Neshat.

Kredit:
Fotos: Anahita Vessier
Text: Anahita Vessier
Übersetzung: Anahita Vessier

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