SLAVS AND TATARS, Eine neue Vision Eurasischer Kunst
Slavs and Tatars ist eine Kunstkollektive, die vom polnisch-iranischen Duo Kasia und Payam gegründet wurde. Die beiden widmen ihre Arbeiten einem Gebiet östlich der Berliner Mauer und westlich der großen chinesischen Mauer.
Anahita’s Eye folgt seit langem den Arbeiten des Duos und hatte die Chance, die beiden zu interviewen, als sie ihre Ausstellung „Afteur Pasteur“ in der Tanya Bonakdar Galerie in New York vorbereiteten.
Warum habt ihr den Namen ‚Slavs and Tatars‘ (Slawen und Tatare) gewählt? Und warum die Zuneigung zu einem Gebiet „östlich der ehemaligen Berliner Mauer und westlich der großen chinesischer Mauer“?
Normalerweise wird ein Name für das gewählt, was man repräsentiert und wen man darstellen will. Wir haben uns für ‚Slavs and Tatars‘ aus dem entgegengesetzten Grund entschieden. Unser Name ist ein Mission Statement: wir wollen uns einer Gegend zuwenden, die gleichzeitig politisch und imaginär ist, aber auch durch die „Ritzen unsere Amnesie-Dielen“ rutscht und in somit in Vergessenheit gerät.
„Dieses Gebiet ist hauptsächlich muslimisch aber nicht mittel-östlich, man spricht viel Russisch, aber es ist nicht Russland, und obwohl große Teile in Asien liegen, gehörte nur ein kleiner Teil (Xinjiang) historisch zu China.“
Es gibt natürlich auch ein humoristisches Element hier. Wir haben Slavs and Tatars 2006 gegründet, kurz nachdem die neuen Mitgliedsstaaten 2004 in die EU aufgenommen wurden. Zur Erinnerung, es gab ziemlich viele Vorurteile gegen und fast schon Hysterie über dieses „andere“ Europa, also die osteuropäischen Staaten, die dem „exklusiven Club“ der restlichen Europäer beitreten sollten. Es gab den berühmten polnischen Installateur, den bulgarischen Bauarbeiter etc… Der Name ‚Slavs and Tatars‘ spielt mit dieser Angst – im zeitgenössischen und historischen Sinne – als ob es Horden gab, die da warteten, um zu vergewaltigen und zu plündern wie bei Braveheart.
Unser Name ‘Slavs and Tatars‘ ist keine Identität, im Gegenteil, er markiert den Kollaps der Identitäten. Sogar zwischen ‚Slawen‘ und ‚Tartaren‘ gibt es eine ganze Geschichte an Konfluenz und Spannung. Nur durch die Ansammlung verschiedener Identitäten – und dem Ausgleichen der Spannungen zwischen ihnen – kann man beginnen, sich über die reduzierende und brüchige Identitätspolitik hinwegzusetzen, die uns bis heute plagt.
Kannst du etwas zu eurem kreativen Prozess sagen? Was sind eure Inspirationen? Warum habt ihr euch am Ende für Skulpturen als Hauptausdrucksmittel entschieden?
Skulpturen, Installationen und Ausstellungen sind nur ein Teil und stehen nicht unbedingt im Vordergrund. Wir halten auch Vorträge, machen Performances und publizieren.
Zurzeit halten wir 2-3 Vorträge im Monat an verschiedenen Orten, von Universitäten bis zu Kunst-Institutionen. Normalerweise haben wir einen dreijährigen Zyklus. Die ersten beiden Jahre sind der Forschung eines Themas gewidmet: zuerst kommt die bibliographische Forschung, z.Bsp. Türkische Sprachpolitik oder das mittelalterliche Genre der politischen Ratgeberliteratur, die man auch als „Spiegel der Prinzen“ kennt. Dann folgt die Feldforschung, z.Bsp. in Xinjiang, um die Ideen praktisch auszuloten, die wir analytische bearbeitet haben. Dann kommt die entscheidende Frage:
„Was bringen wir als Künstler auf den Tisch, das sich von der Arbeit der anderen, Politiker, Forschern und Aktivisten etc. unterscheidet?“
Die Übertragung dieser Forschungsarbeiten in die Kunst ist vielleicht das Schwierigste von allem. Am Anfang haben wir ausschließlich mit Drucken gearbeitet. Das heißt, wenn jemand sich mit unserer Kunst befassen wollte, musste er lesen. Es gibt wenige Sachen, die so unerfreulich oder unaufmerksam gegenüber dem Publikum sind, als etwas zum Lesen an die Wand zu hängen. Obwohl wir in der Praxis besser wurden, wir nahmen Skulpturen, Installationen und Performances dazu, sind Wände für uns nicht attraktiver geworden. Wenn wir im Zeitalter der visuellen Übersättigung leben, dann sind wir unter den (vielen) Schuldigen, die das möglich machten!
Unter den drei Achsen unserer praktischen Arbeit, sind es die Vorträge und Publikationen, in denen wir eine Reihe von Bedenken äußern, die unsere Skulpturen und Installationen Stück für Stück wieder auseinandernehmen. Das heißt nicht, dass man schweigen sollte, sondern es geht um das Rückgängig machen, um das Auftrennen dieser Ideen, wie beim losen Faden eines Strickpullovers.
Hast du ein Lieblingszitat, das dich inspiriert?
„Gib die Welt auf. Gib die nächste auf. Gib das Aufgeben auf.”
Thomas Merton
Hat jeder von euch eine definierte Rolle bei „Slavs and Tatars”?
Ja, aber wir redigieren einander rigoros.
Bei vielen eurer Installationen ladet ihr das Publikum ein, mit den Werken zu interagieren, sie anzufassen, darauf zu sitzen oder zu liegen, darüber zu diskutieren. Ist diese direkte Konfrontation und die Erfahrung, die viele Leute mit euren Kunstwerken machen, ein wichtiger Teil eures künstlerischen Konzepts?
Auf jeden Fall. Es ist auch eine Verpflichtung der Idee des Nachdenkens gegenüber, welches sich in Kunsträumen abspielt. Zu oft kann man sich im Museum nur im Café hinsetzen oder auf eine der seltenen Bänke vor einem Meisterwerk. Wenn Kunst eine transformative Rolle spielen soll, und nicht nur eine bildende oder unterhaltende, dann muss der Ort der Kunst gastfreundlicher werden.
Slavs and Tatars sprechen so viele verschiedene Sprachen: Farsi, Polnisch, Englisch, Französisch, Russisch etc. Sprache und linguistische Komplexität sind wichtige Themen in eurer Arbeit. Wo kommt das große Interesse an Sprachen her?
Übersetzung wird zur Form linguistischer Gastfreundschaft, um es mit Paul Ricoeurs Worten zu sagen. Wir laden den ANDEREN in unsere Sprache ein und verleihen uns selbst an die Sprache des ANDEREN. Wir werden in jeder Sprache zu anderen Menschen: Zum Beispiel ist unser Sinn für Humor im Französischen dem im Russischen oder Persischen überhaupt nicht ähnlich.
„Sprache erlaubt es dir, dich selbst zu “ändern”, der “andere” zu werden.”
Ist Humor eine essentielle Zutat in euren Kunstwerken?
Absolut. Humor hat immer eine sehr wichtige Rolle in unserer Arbeit gespielt, als entwaffnende Form der Kritik, als Verlängerung der Großzügigkeit, als Indikation für Infra-Politik, wie James Scott sie definiert: das versteckte Transkript, die geflüsterten Geschichten.
„Jeder Witz ist eine kleine Revolution“
sagte Orwell, mehr als die oft konfrontative sichtbare Politik des Marsches, der Nachrichten oder des Staates.
Welche Projekte können wir von euch in der Zukunft erwarten?
Im Moment bereiten wir unsere erste Show in der Tanya Bonakdar Galerie in New York vor. Darin geht es um sauergewordene Politik oder um die Neubewertung unserer Beziehung zum „Anderen“, indem wir unsere Beziehung zum Original-Fremden betrachten: die Mikrobe und Bakterie. Wir arbeiten auch an einer Retrospektive für 2017-2018 unserer Arbeiten zwischen Warschau, Vilnius und vielleicht Istanbul.
Ihr lebt sehr kosmopolitisch, eure Kunst wird auf Kunstmessen und Ausstellungen in der ganzen Welt gezeigt. Gibt es ein spezielles Objekt, das euch auf euren Reisen um die Welt begleitet?
Wir versuchen, so oft es geht, mit frischen Kräutern zu reisen – ein Bündel Estragon und Koriander – damit wir den Stress beim Essen in Zügen, Flugzeugen und Autos abmildern können.
Slavs and Tatars, was assoziiert ihr mit Iran?
Maulbeeren.
Kredit:
Alle Arbeiten von Slavs and Tatars
– Kitab Kebab, 2016 – fortlaufend
– Friendship of Nations: Polish Shi’ite Showbiz, Herausgeber: Book Works / Sharjah Art Foundation
– Mother Tongues and Father Throats, Galerie Moravian, Brünn (2012)
– Dig the Booty (2009)
– Pray Way (2012)
– Installation im Trondheim Kunstmuseum
– Links: Larry nixed, Trachea trixed (2015) rechts: Tongue Twist Her (2013)
– Lektor, Soundinstallation, Leipzig (2014-15)
– AÂ AÂ AÂ UR, Skulpturpark Köln (2015)
Text: Anahita Vessier
Übersetzung: Ulrike Goldenblatt
http://www.slavsandtatars.com
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