CHRISTELLE TÉA, Das Geheimnis der enthüllten Wirklichkeit
Das erste Mal, als ich Christelle Téa traf, war ich überrascht über dieses außergewöhnliche Wesen, das einer Chinesin der 30er Jahre gleicht, mit einem Gesicht zart wie Porzellan, eine exzentrische Hutkreation am Kopf tragend und gekleidet mit einem kleinen Schwarzen. Sie erinnerte mich dabei an die weibliche Hauptfigur in Marguerite Duras « Der Liebhaber ». Es war dieser Kontrast zwischen der extravaganten Erscheinung und dieser juvenilen Art gemischt mit einer naiven Aufrichtigkeit, der mich besonders verwundert hat.
Von Natur aus schüchtern und diskret, entdeckte ich während unseres Fotoshootings in den Beaux-Arts de Paris das andere Gesicht Christelles, deren so zarter Körper, sobald sie vor der Kamera steht auf einmal eine Stärke und unerwartete Selbstsicherheit ausstrahlt. Christelle weiß, mit ihrem Image zu spielen.
Vom Schicksal zur Kunst geführt getrieben von ihrem außergewöhnlichen Talent, enthüllt Christelle Téa in ihrem Werk auf eine virtuose Art und Weise die Wahrheit eines Moments mit all seinen Details und läd den Betrachter ein, diesem Augenblick immer und immer wieder gegenüber zu stehen und ihn zu beobachten.
Woher kommt deine Leidenschaft für das Zeichnen?
Ich zeichne seit ich klein bin. Meine Eltern führten ein chinesisches Restaurant, wo ich all meine Nachmittage mit meiner Schwester nach der Schule verbrachte. Wir haben uns dort so gelangweilt. Eines Tages habe ich darüber mit meiner Mutter geredet, worauf sie mir ihren Block und Stift, mit denen sie die Bestellungen notierte, in die Hand drückte. Und ab diesem Moment habe ich nur gezeichnet.
Zeichnen war für mich nicht nur eine Beschäftigung sondern auch eine Möglichkeit, mich auszudrücken, da ich auch noch sehr schüchtern war. Ich war ein sehr stilles und diskretes Kind.
Darüber hinaus sprach ich bis zum 7. Lebensjahr kein einziges Wort Französisch, auch wenn ich in Frankreich geboren bin und immer hier gelebt habe.
Zuhause wurde nur Teochew gesprochen, ein Dialekt der Provinz Guangdong im Süd-Osten Chinas.
Also fühlte ich mich am Anfang meiner Schullaufbahn wie eine Außerirdische, da ich überhaupt nicht verstand, was die Lehrer und die Kinder zu mir sagten.
Das Zeichnen half mir, aus dieser Blase auszureißen, mich auszudrücken, mich zu verständigen. Es war für mich ein richtiges Ausdrucks- und Kommunikationsmittel.
So hast du also schon damals beschlossen, Künstlerin zu werden?
Meine Mutter sagt immer, wenn sie das gewußt hätte, hätte sie mir eher einen Taschenrechner gegeben; und für meinen Vater war der Künstlerberuf absolut keine Möglichkeit, um Geld zu verdienen.
Ich habe Da Vincis Mona Lisa und Picasso erst im Gymnasium im Kunstunterricht entdeckt.
Und einige Jahre später hatte ich das außerordentliche Glück im Beaux-Arts de Paris aufgenommen zu werden. Das ist ein regelrechtes Paradies, um Kunst zu studieren. Man kann dort aussuchen, was man will, Fächer zusammenwürfeln, wie man will, experimentieren, und das in einem atemberaubenden Rahmen.
So hat mich also das Schicksal zur Kunst geführt.
Du hast während deines Studiums bei einem Austauschprogramm mit der Kunstuniversität von Peking mitgemacht. War diese Erfahrung auch eine Gelegenheit wieder zu deinen chinesischen Wurzeln zurückzukehren?
Absolut!
Diese sechs Monate haben mir geholfen, wieder eine Verbindung mit meiner chinesischen Herkunft aufzubauen. Auch habe ich einen großen Unterschied zwischen der chinesischen und französischen Lehrmethode feststellen können.
Während meines Studiums in China, durfte man nur eine einzige Technik lernen, und auf jedenfall nicht mehrere mischen. Dies half mir, eine Disziplin richtig zu beherrschen. Ich wählte das Fach der Holzstichkunst mit Meister Xu.
Wenn ich etwas Freizeit hatte, packte ich meine Zeichenutensilien und ging in der Stadt spazieren. Ich fühlte mich frei wie ein Vogel!
Ich zeichnete in den Straßen, auf den Märkten, in den Museen und in den Hutongs, den engen Gassen Pekings.
Du bist also immer mit einem Zeichenbrett, Papier und einer Füllfeder ausgestattet. Das ist ja ein richtiges mobiles Atelier! Hättest du gerne einen fixen Ort zum Zeichnen?
Während meiner Künstlerresidenz im Museum Jean-Jacques Henner in Paris, wurde mir während der sechs Monate dort sogar ein Atelier zur Verfügung gestellt, aber es blieb die meiste Zeit leer, da ich es kaum in Anspruch nahm.
Für meine Arbeit brauche ich Leben, Bewegung.
Dieses Leben, diese Bewegung, wovon du redest, fängst du heute in deinen Porträts ein, die du von Personen direkt und ohne Skizze machst. Du zeichnest sie in situ in ihrem Haus, auf ihrem Arbeitsplatz, wo dir kein Detail entgeht. Ist es wichtig für dich, daß die Leute, die du porträtierst, mit dem Resultat zufrieden sind?
Nein.
Ich versuche überhaupt nicht, die Person mit meiner Zeichnung zu preisen und zu loben.
Was mich eigentlich interessiert in diesen Porträts ist die Welt, die das Model herum umgibt, die unmittelbare Wirklichkeit mit all ihren Einzelheiten, die nicht gesehen werden dürfen, die aber existieren, wie der Kabelsalat unter einem Schreibtisch aus Ebenholz aus der Ludwig XV Epoche oder ein Klavier, das nicht das Staubsaugerrohr verdecken kann.
Genau da befindet sich ein Teil der Wirklichkeit, in diesen kleinen Details.
Diesbezüglich mag ich besonders das Zitat des Fotografen Garry Winograd, der sagte:
« Es gibt nichts geheimnisvolleres als klar beschriebene Fakten.»
Ich versuche ganz und gar nicht der Person, die ich illustriere, zu schmeicheln und auch nicht eine fotorealistische Reproduktion von ihr und ihrer Umgebung zu machen. Sie ist fast wie ein Element von vielen in dieser Komposition, in der jedes Objekt, jedes Buch, jedes Musikinstrument, jedes Gemälde mit der gleichen Genauigkeit und Sorgfältigkeit gezeichnet wird.
Und wenn du mal nicht zeichnest?
Und wenn ich mal nicht zeichne, dann studieren ich Operngesang im Konservatorium des 16. Arrondissements im Kurs von Alexandra Papadjiakou.
Musik und Zeichnen sind sehr wichtig und ergänzend für mich. Beide sind eine Art Hafen der Kreativität und des künstlerischen Ausdrucks.
Übrigens sind aus dieser Leidenschaft für die Musik heraus meine großen Fresken entstanden. Inspiriert wurde ich von Offenbachs Oper « Hoffmanns Erzählungen » und Gounods « Faust ».
In diesen Werken habe ich mich auch selber in Szene gesetzt.
Da du ja so Kunst und Musik begeistert bist, welche Künstler faszinieren dich?
In der Musik, Bernstein, Mozart, Puccini.
In der Kunst, Hockney, Dürer und Sam Szafran, in dessen Werk Details eine große Rolle gespielt haben, und der nie zu seinen eigenen Vernissagen ging.
Und du, gehst du zu deinen eigenen Vernissagen?
Ja, natürlich.
Es ist mir wichtig zu sehen, wer sich für meine Kunst interessiert.
Und auch aus Respekt für die Leute, die extra den Weg gemacht haben, um mich kennenzulernen und meine Arbeit zu entdecken.
Darüber hinaus ist es eine schöne Gelegenheit, Zeit mit Freunden zu verbringen.
Was fällt dir spontan ein, wenn du an den Iran denkst?
Ich denke an den Fotografen Ali Mahdavi, den ich auch schon porträtiert habe.
Ich bewundere seine Arbeit.
Kredit:
Alle Fotos von Christelle Téa: Marion Leflour
Alle Zeichnungen: Christelle Tea
Zeichnung 1: Jean Michel Frouin, Künstler Maler und Tischler, 2015, Tinte auf Papier, 65 x 50 cm
Zeichnung 2: Morphologie Galerie im Beaux-Arts Paris, 2012, Tinte auf Papier, 50 x 65 cm
Zeichnung 3: 2 für 1 am Markt Xiyuan, 2014, Tinte auf Papier, 301 x 412 mm
Zeichnung 4: Cécile Guilbert, Schriftstellerin, 2015, Tinte auf Papier, 65 x 50 cm
Zeichnung 5: Koncert von Christophe Chassol, Komponist-Musiker, im Silencio Paris 2018, Tinte auf Papier
Zeichnung 6: Das letzte Urteil und der Colleone, Petits-Augustins Kapelle im Beaux-Arts Paris, 2012, Tinte auf Papier, 50 x 65 cm
Zeichnung 7: Ali Mahdavi, plastischer Künstler, Regisseur und Art Director der Revue “Désirs” im Crazy Horse, 2015, Tinte auf Papier
Besonderen Dank an Valérie Sonnier et Philippe Comar der Beaux-Arts de Paris für die Erlaubnis des Fotoshootings von Christelle Téa in der Morphologie Galerie.
https://christelletea.com
Text: Anahita Vessier
Übersetzung: Anahita Vessier
Share this post