GIDEON RUBIN, Kunsthandwerker gesichtsloser Erinnerungen

GIDEON RUBIN, Kunsthandwerker gesichtsloser Erinnerungen

Gideon Rubin ist ein zeitgenössischer israelischer Künstler und ein aufgehender Stern der internationalen Kunstszene.

In seinen Arbeiten geht es um die Erinnerung an etwas, das an einem Punkt der Vergänglichkeit ist. Unscharfe Details und verwischte Gesichtsmerkmalen der Menschen laden den Betrachter ein, diese fehlenden Details durch ganz eigene Erinnerungen zu ersetzen. Diese Art von Dialog schafft eine sehr persönliche Beziehung zwischen Kunstwerk und Betrachter und ruft ein Gefühl der Nostalgie und Intimität hervor.

Hatte die Tatsache, dass du der Enkel des berühmten israelischen Malers Reuven Rubin bist, Einfluss auf deine Entscheidung, Maler zu werden?

Wenn ich zurückschaue, war das wohl so, aber es brauchte eine sehr lange Zeit, bis es sich herauskristallisierte.

Ich war 22 Jahre alt, als ich mit dem Malen begann und wenn man mich davor gefragt hätte, was die unwahrscheinlichste Karriere für mich wäre, hätte Kunstmaler sicher ganz oben auf der Liste gestanden, genau wegen meinem Großvater und dem Platz, den er im Kanon der israelischen Kunst einnimmt. Das Ansehen seiner Bilder war für mich jahrelang wegen seines Ruhmes im Land ein vergifteter Akt.

„Es war eben nicht eine Blume, ein Haus oder ein Portrait, es war zuerst ein Rubin.“

Als ich mich am Ende doch für die Karriere eines Malers entschied, führte genau das zu der Entscheidung, dass ich niemals zu Hause malte. Erst dann entdeckte ich viele seiner Arbeiten, seiner Befindlichkeiten, den Farbauftrag, Tonalität und wieviel davon eigentlich auch in meiner DNA war.

Am 11.September 2001 warst du in New York. Hatte diese Erfahrung Einfluß auf deine Arbeit?

Es hat mein Leben verändert, also veränderte es auch meine Arbeit. Vor 9/11 malte ich aus der Beobachtung heraus und konzentrierte mich auf Ganzkörper-Selbstportraits, für die ich Monate brauchte.

Als ich mit dem ersten möglichen Flieger von New York zurück nach London flog, fühlte ich mich, als wäre ich der Hölle entronnen. Ich war so glücklich, in London zu landen. Ich wollte die Erde küssen, aber ich konnte nicht mehr so malen, wie vorher. Ich konnte mich nicht mehr im Spiegel ansehen, also begann ich, diese kleinen Stillleben zu malen.

Anstelle eines Portraits in drei Monaten, malte ich nun drei Bilder am Tag. Es fühlte sich an, als würde ich eine große Last abladen. Als Künstler haben wir Glück, dass wir die Misere um uns herum in unseren Werken verarbeiten können.

Du bist so eine Art “Kunsthandwerker für Erinnerungen” und jedes deiner Bilder hat dieses Detail an unvollständigen oder gesichtslosen Menschen. Was ist der Grund dafür oder die Absicht dahinter?

Mehr als alles andere ist es ein Werkzeug der Abstraktion. Ich nehme das, was ich sehe, auseinander und dirigiere es an die Oberfläche des Bildes. Vereinfache es.

Als ich aufwuchs, war ich von den kleinen Figuren in den Landschaftsbildern meines Großvaters fasziniert. Einfach kleine Farbtupfer, die ein Gesicht, Körperteil oder Körper darstellten. In meinen Arbeiten versuche ich eine Balance herzustellen, zwischen dem Generellen und dem Besonderen, zwischen der Öffentlichkeit und dem Individuum. Das fasziniert mich.

Das Weglassen der Gesichter war noch mal etwas anderes. Als ich altes Spielzeug malte, reagierte ich auf Puppengesichter, die nach den vielen Jahren des Spielens verschwunden waren. Als sich meine Arbeit dann wieder auf Portraits verlagerte, merkte ich schnell, dass ich auch ohne Gesichter das beschreiben kann, was ich meine.

„Ich war und bin noch immer fasziniert davon, wie viele Informationen wir voneinander sammeln können, die sich außerhalb des Gesichtes befinden.“

Unsere Eigenheiten, Stil, wie wir uns kleiden, gehen etc. Wir ‚lesen‘ einander und jedes menschliche Portrait zuerst dem Gesicht nach, dann erst kommt alles andere. Mich interessiert die Umkehrung dieses Prozesses, zuerst kommt alles andere und dann lässt man eine Öffnung, ein Fragezeichen, eine nicht erzählte Geschichte. Für mich ist das ‚Ausradieren‘ so wichtig und positiv wie eine Markierung.

Wenn du an deinen Werken arbeitest, wie empfindest du Zeit in diesen kreativen und intensiven Momenten?

Es ist schwer, diese Momente in Worte zu fassen, besonders, wenn Worte nicht dein Ding sind und man nicht kitschig klingen will.

Aber wenn ich muss, kann ich sagen, dass ich nicht nach diesen Momenten suche. Einfach arbeiten, arbeiten. Wenn sie kommen, dann ist es großartig: man ist in Aktion und es gibt nichts anderes. Aber sobald man darüber nachdenkt oder bemerkt, dass man in dem Moment ‚drin‘ ist oder war, ist er verschwunden.

Gibt es einen Autoren, Künstler, Musiker, der deine Wahrnehmung von Kunst verändert hat oder dein Schaffen sehr beeinflusste?

Velasquez, Goya, Rembrandt, Chardin, Soutine, Guston, Manet, Bacon, Freud, Morandi, Alys, Richter, Rotheko, Matisse, Picasso, Diebenkorn, Hemingway, Kerouac, Camus, David Grossman, Primo Levy, Leonard Cohen, Bowie, Dylan, Allen, Tarantino, Almodovar, Nina Simone, da kann ich noch viele aufzählen…

Was fühlst du, wenn eins deiner Bilder fertig ist und du es ansiehst?

Enttäuschung, als ob ich es hätte besser machen können. Manchmal stimmt es, zum Glück auch manchmal nicht.

Gibt es ein Zitat oder einen Spruch, der dich im Leben begleitet?

“Inspiration existiert, aber sie muss dich bei der Arbeit finden.” (Pablo Picasso)

„Ein Intellektueller drück etwas Einfaches kompliziert aus. Ein Künstler drückt etwas Kompliziertes einfach aus.“(Charles Bukowski)

Arbeitest du mit Musik? Wer ist dein Lieblingsmusiker, den du im Moment im Studio hörst?

Das ändert sich ständig. Im Moment höre ich ein bisschen Soul von Erica Badu, Lauren Hill und meinen üblichen alten Jazz von Nina Simone, Coltrane, Miles Davis, auch ein bisschen Bowie und Leonard Cohen. Zur letzten Zeit höre ich auch mehr klassische Musik. Piano, viel Piano…

Erst kürzlich wurdest du vom Museum für Zeitgenössische Kunst Chengdu in China zu einer Gruppenausstellung eingeladen, die unter dem Titel “Die Erinnerungen dauern nur bis heute Morgen“. Diese Einladung machte es dir auch möglich, die Provinz Xinjiang zu besuchen, die Heimat der Uyghur, eine hauptsächlich muslimische ethnische Minderheit. Was war das für eine Erfahrung?

Das war etwas Bemerkenswertes, eine einmalige Erfahrung. Ich hatte besonderes Interesse daran, weil meine Frau in Xinjiang geboren wurde, in Korla und ich hatte schon viel vom Turkvolk gehört. Sie erzählte mir, dass die Menschen dort eher israelisch als chinesisch aussehen und dass ich das Essen mögen würde.

„Sie hatte in vieler Hinsicht recht und ich konnte einige Gemeinsamkeiten zwischen den Menschen in Uyghur und denen im mittleren Osten finden.“

Es war eine ganz andere Erfahrung als im restlichen China, hauptsächlich wegen den strengen Sicherheitsbestimmungen, die aus den politischen Unruhen herrühren. Das bescherte mir ein unruhiges Gefühl, wie ich zugeben muss, aber dieses riesige Gebiet hat so viel zu bieten, eine einmalige Geschichte an der Seidenstraße, die wegen des trockenen Wetters unheimlich gut erhalten ist und auch die hohen schneebedeckten Berge sind wunderschön und erinnern an die Schweizer Alpen.

Es gibt belebte Märkte, voll mit Gewürzen und wunderschönem Kunsthandwerk. Und all die hübschen eingehüllten Frauen. Es scheint alles in eine andere und magische Zeit zu gehören.

Was fällt dir zum Stichwort Iran ein?

Generell denke ich immer daran, wie gerne ich mit Iranern zusammentreffe seit ich nach NY und dann London zog. Ich finde so viele Gemeinsamkeiten und vieles, was ich mag. Als erstes denke ich an Essen und Film. A Seperation und About Elly…

Ich finde auch, dass es eine Schande ist, dass ich das Land nicht besuchen kann.

Ich sehe die Treffpunkte, den Dialog, die Kunst.

Kredit:
Portrait von Gideon Rubin: Shira Klasmer
Alle anderen Fotos: Richard Ivey
Bilder:
– „Der Junge“, 56x51cm, Öl auf Leinwand, 2011
– „ohne Titel“, 66x71cm, Öl auf Leinwand, 2012
– „Der Teich“, 200x150cm, Öl auf Leinwand, 2016
– „Klassenfoto von 1947 (Abschlußklasse)“, 12 Bilder je 25x20cm, Öl auf Leinwand, 2012
– „Die gelbe Augenbinde“, 107x102cm, Öl auf Leinwand, 2015
– „Polizisten“, 35.5×30.5cm, Öl auf Leinwand, 2015
– „ohne Titel“, 26x19cm, Gouache auf Papier, 2015
– „Sonnenuntergang“, 150x200cm, Öl auf Leinwand, 2016
Text: Anahita Vessier
Übersetzung: Ulrike Goldenblatt
http://www.gideonrubin.com/

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MATHIAS KISS, Der Künstler mit der goldenen Hand

MATHIAS KISS, Der Künstler mit der goldenen Hand

Mathias Kiss, französischer Künstler, Ikonoklast und Dandy im weißen Arbeitsmantel, ist ein außergewöhnlicher Mensch mit überschwänglicher kreativer Energie, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt und gerne die Grenzen überschreitet. In seinem Kunstwerk löst er sich den vorgegebenen akademischen Konventionen, sucht neue ästhetische Erfahrungen, bricht die Regeln, und verbindet französischen Klassizismus und Avantgarde.

Seine überdimensionalen und extravaganten Installationen sind in renommierten Galerien und Museen, wie im Palais de Tokyo oder Musée des Arts Décoratif in Paris ausgestellt, und seine Kunst begeistert Luxushäuser wie Hermès oder Boucheron.

Wie ist dieser Wunsch entstanden, Künstler zu werden?

Ich habe mit 14 Jahren eine Glaser-Malerlehre angefangen und bin dann mit 17 Jahren den Compagnons du Devoir beigetreten, wo ich dann die nächsten 15 Jahren geblieben bin.

Es war eigentlich mein Traum die  Akademie der Bildenden Künste zu besuchen, wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte. Aber so war es nun mal nicht und letztendlich hat mir meine Arbeitslaufbahn das Werkzeug und das handwerkliche Wissen mitgegeben, um das zu erreichen, wo ich heute stehe.

Meine Kunst nährt sich von dem, was ich in meinem Leben erlebt habe, das auch gezeichnet ist von traumatischen Erfahrungen, woran ich später gearbeitet habe.

Was genau für ein Trauma?

Welches Mädchen möchte mit dir ausgehen, wenn du Maler am Bau bist!

Es ist schrecklich, mit 14 Jahren die Schule abzubrechen und anzufangen zu arbeiten. Keiner interessiert sich für dich. Alle machten das Abitur, « White-Collar » Jobs, Grafiker oder anderes. Es war wirklich hart, der zwielichtige einsame Aussenseiter zu sein.

Wie kann man dich eigentlich definieren? Handwerker? Künstler?

Am Anfang meiner Karriere bei den Compagnons wollte ich einfach ein guter Handwerker sein, damit sich mein Chef nicht ärgerte und mich anschreit, dass ich den Himmel der Deckenmalerei nicht gut genug gemalt habe.

Nie wäre es mir auch nur in den Sinn gekommen, mir zu überlegen « Warum male ich den Himmel nicht einfach rot anstatt blau? »

Erst viele Jahre später konnte ich mich emanzipieren, von den Dogmen befreien und mich der Kunst zuwenden.

Anfangs wussten die Leute nicht so recht, wie sie mich einordnen sollten. Dekorateur? Kunsthandwerker? Künstler? Glücklicherweise habe mir ein paar vertraut und so andere ermutigt, meine Werke zu kaufen.

Aber woher kommt dieses unglaubliche Verlangen, die Regeln zu sprengen?

Bei den Compagnons wächst du mit einem Zirkel und einem Dreieck auf, die die Dogmen, den 90° Winkel, die Ebene symbolisieren. Aber am Ende bin ich an diesen Regeln, die mir auferlegt wurden, erstickt. Keiner meiner Altersgenossen interessierte sich für meine Arbeit. Viel zu klassisch, viel zu steif. Deswegen hatte ich das Verlangen, diese Normen zu brechen, mich von den technischen und ästhetischen Diktaten zu befreien.

So habe ich mich gefragt, wie man diese klassische dekorative Kunst und die Codes des französischen Savoir-Faires in einen modernen Kontext integrieren könnte.

Aus diesen Gedanken sind zwei Strömungen in meiner Arbeit entstanden:

Die eine trägt den Titel « Sans 90° », die all die Werke zusammenfasst, die keinen rechten Winkel haben, wie zum Beispiel die Spiegel « Miroirs froissés », oder die trompe d’oeil Sitzbank « Banquette Igloo » oder der Teppich « Tapis Magyar ».

Die andere Strömung nennet sich « Golden Snake », in der ich mit klassischen architektonischen Elementen experimentiere und den künstlerische Prozess hinterfrage.

Was findest du an Gold so interessant, das eine sehr wichtige Rolle in deinen Werken spielt?

Gold, steht für das Licht, für das Leben. Es muss nicht immer opulent, kitschig oder altmodisch sein.

Gold symbolisiert auch Macht, wie zum Beispiel die Anziehungskraft einer Frau, die sie mit Hilfe von Accessoires und Schmuck unterstreicht, und auch eine Macht, für die, die sie besitzen und dafür gekämpft haben.

Was wäre für dich als Künstler eine neue Herausforderung?  

Während meiner Zeit bei den Compagnons, habe ich an Restaurationsarbeiten in der Comédie Française, in der Opéra Garnier, und anderen Palästen der französischen Republik gearbeitet. Jedoch nach einer gewissen Zeit konnte ich mich nicht mehr damit identifizieren und habe mich so der zeitgenössischen Kunst zugewandt.

Kunstinstallationen für öffentlichen Einrichtungen zu gestalten, wäre also eine perfekte Mischung aus beidem und eine Art Hommage an Paris, die Museumsstadt.

Für so eine urbane und dauerhafte Konstruktion denke ich da zum Beispiel an eine Adaptation meines Werkes « Golden Snake », das im Palais de Tokyo ausgestellt wurde. Kinder könnten darauf klettern, man könnte sich darauf hinsetzten.
Das wäre wirklich ein aufregendes Projekt und eine richtige Herausforderung.

Aber machen dir diese großen kahlen Flächen, diese riesigen weißen Wände nicht Angst? 

Ganz im Gegenteil, je größer umso geiler ! Die sind für mich wie große weiße Blätter, auf denen ich meiner Fantasie freien Lauf lassen kann.

Du warst Thai Boxer und hast, bis du 30 Jahre alt warst, bei Wettbewerben teilgenommen. Für das Magazin Numéro hast du vor deiner Installation « Golden Snake » im Palais de Tokyo einen Boxkampf mit dem Weltmeister Patrick Quarteron geführt.
Wo liegt eigentlich die Verbindung zwischen der Kunst und dem Boxen? 

Tatsächlich sehen die Leute oft nicht sofort die Verbindung zwischen den beiden Welten.

Ist ein Boxer nicht einfach ein halb nackter Mann auf einer Bühne, der gewinnen will, und von allen Zuschauern bejubelt werden möchte? Ist das nicht eine Art von reinem Narzissmus und Exhibitionismus und ein Verlangen nach Liebe und im Rampenlicht stehen?

Das ist doch letztendlich einem Künstler sehr ähnlich, der sich auch einer gewissen Gefahr aussetzt, harte Rückschläge einstecken muss und sich ins Ungewisse schmeißt.

An welchen Projekt arbeitest du gerade?

An einem carte-blanche Projekt für das Palais des Beaux-Arts in Lille für April 2019.

Was kommt dir in den Sinn, wenn du an den Iran denkst?

Die verrückte Feier, die der Shah zum 2500. Jubiläum des Gründung des persischen Reiches organisiert hat. So ein monumentales und starkes Symbol. Es ist unglaublich, daß man sogar noch heute nach all den Jahren davon redet.

Kredit:
Alle Fotos : David Zagdoun
Ausser :
Foto von Mathias Kiss auf Homepage : Wendy Bevan
Foto von Mathias Kiss und Patrick Quarteron im Palais de Tokyo : Stéphane Gallois für Numéro
http://www.mathiaskiss.com
Text: Anahita Vessier
Übersetzung: Anahita Vessier

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HORMOZ HEMATIAN & ASHKAN ZAHRAEI, Electric Room, Kunst unter Hochspannung

HORMOZ HEMATIAN & ASHKAN ZAHRAEI, Electric Room, Kunst unter Hochspannung

Teherans Kunstszene ist energiegeladen und reich an aussergewöhnlich talentierten Künstlern. Viele von ihnen sind erst nach der Islamischen Revolution geboren.

Hormoz Hematian, Gründer und Leiter der Dastan Galerie, eine der hippsten Kunstinstitutionen für zeitgenössische Kunst der iranischen Hauptstadt, und sein Freund Ashkan Zahraei, Kurator und Kummunikationsmanager von Dastan, reisen ununterbrochen rund um die Welt, zwischen  Teheran und den wichtigsten Kunstmessen, um die Arbeit ihrer Künstler zu promoten und internationale Zusammenarbeiten zu entwickeln.

Diese zwei Workaholics und bedingungslose Kunstliebhaber haben tausend kreative Ideen im Kopf, fürchten sich vor keiner Herausforderung und haben 2017 „Electric Room“ gegründet, bestimmt das verrückteste, intensivste und anspruchsvollste Kunstprojekt, das Teheran zu einem wahren Reservoir von Kreativität macht und gewiss auch zu einem der interessantesten und energiegeladensten Orte  zeitgenössischer Kunst.

‚Electric Room‘ ist ein sehr interessantes und ambitioniertes Kunstprojekt, das ihr entwickelt habt und in die  Kunstszene im Iran eingeführt habt. Wie ist diese Idee entstanden?

AZ: Teheran hat eine sehr kleine Kunstszene. Durch meine Arbeit als Schriftsteller und Kurator sowohl für die Dastan Galerie als auch für andere, habe ich viele Künstler kennengelernt, die Kunstinstallationen präsentieren wollten, wofür es in Teheran keinen passenden Ort gab, der offen war für diese Art von experimentellen Projekten.

Deswegen hatten Hormoz und ich die Idee, das Kunstkonzept „Electric Room“ zu starten.

Das Konzept war, 50 verschiedene experimentelle Kunstprojekte in 50 Wochen zu zeigen, jede Woche ein neues Werk eines meist unbekannteren Künstlers. So hatte dieses Projekt einen genau definierten Beginn und auch ein genau bestimmtes Ende.

Das ist ein anspruchsvolles Projekt. Eine richtige Herausforderung!

HH: Ja, eine enorme Herausforderung! Das ist mehr als manche Galerien in fünf Jahren zeigen!

Aber als Besitzer von drei Gallerien in Teheran, fehlte mir schon seit langem eine gewisse Spontanität beim Organisieren von Ausstellungen. Electric Room gab uns die Möglichkeit, das Romantische in der Kunst wiederzufinden und dieses Erlebnis mit allen zu teilen.

So öffneten wir im Juni 2017 die Türen dieses temporären Ausstellungsortes, nicht größer als 30m2, im Stadtzentrum Teherans, gleich neben der Kunst-und Architekturuni, nur ein paar Gehminuten von der Universität bildender Künste entfernt und vieler anderer wichtiger Kulturinstitutionen.
Dieser Bezirks ist sehr dynamisch und sehr lebhaft. Es gibt dort viele Studenten, und die Atmosphäre ist wirklich gut.

Wir haben das Projekt Electric Room genannt, weil auf einer Wand ausschließlich nur Stromkästen und Steuergeräten installiert sind. Es ist wirklich ein sehr cooler und ungewöhnlicher Ort.

AZ: Glücklicherweise sind wir beide totale Workaholics!

Das war ein unglaubliches und sehr intensives Projekt, das so viele Monate gedauert hat. Wir wollten den Leuten wirklich ein einzigartiges Erlebnis bieten.

Jede Woche hatten wir nur einen Tag, um die aktuelle Ausstellung abzubauen, die Wände frisch zu streichen und die neue Ausstellung aufzubauen. Und das ging so jede Woche, 14 Monate lang. Das war ein total verrückter Rhythmus!

Und wie hat das iranische Publikum auf dieses Projekt reagiert?

HH: Die Reaktionen waren fantastisch!

Die Stimmung bei jeder Vernissage war so pulsierend, so „elektrisch“ im wahrsten Sinne des Wortes

Es kamen so viele Besucher, dass es in der Galerie nicht genug Platz gab.

Und was für Typ von Besucher kam zu euren Vernissagen?

HH: Die richtigen Leute. Junge Leute, Kunstliebhaber, potentielle Kunden, Leute, die normalerweise nie Galerien besuchen, aber einfach nur das Ambiente liebten und den Ort toll fanden. Jede Vernissage dauerte 4 bis 5 Stunden.

AZ: Wir haben auch andere Galerien Teherans eingeladen, um ihnen die Künstler vorzustellen.

Die Grundidee Electric Rooms war spontan, offen, leicht zugänglich und großzügig zu sein.

50 Kunstprojekte 50 Künstler in 50 Wochen zu zeigen ist eine ziemliche Herausforderung. Wie konntet ihr permanent neue Künstler finden? 

AZ: Der Schwerpunkt lag auf verschieden Projektebenen:

Installationen, Ausstellungen eines einzigen Objektes, Fotos, Videos und Multimediaprojekte und auch Projekte im Zusammenhang mit Archivarbeit, wie zum Beispiel das « Teheran UFO Projekt »

Ich bin ein absoluter UFO-Fanatiker, und diese Ausstellung war eine Präsentation alter Dokumente und Archive, wie Zeitungsartikel und Filme, die zu diesem historischen Ereignis, das sich im Jahre 1976 ereignet hat, als UFOs über Teheran gesehen worden sind, veröffentlicht worden sind.
Mir gefällt die Idee, dass Nicht-Kunst zu Kunst wird.

HH: Zuerst standen manche Künstler dieser ungewöhnlichen Art, Kunst zu präsentieren, sehr skeptisch gegenüber. Sie wollten kein Risiko eingehen. Deswegen mussten wir zu Beginn mit jenen zusammenarbeiten, die in uns vertrauten.

AZ: Aus diesem Grund machten wir die ersten Ausstellungen mit Künstlern, die wir auch schon in der Dastan Galerie gezeigt hatten, wie zum Bespiel Sina Choopani, Mohammad Hossein Gholamzadeh, Meghdad Lorpour und andere.
Sobald wir ihre Arbeiten auch im Electric Room präsentiert hatten, kam auch das Vertrauen und Interesse anderer Künstler, mit denen wir zusammenarbeiten wollten.

So kamen Kollaborationen mit extrem talentierten Leuten im Iran zustande, die zuvor sogar Zusammenarbeiten mit Galerien abgewiesen hatten.

Unter den 50 iranischen Künstlern, die ihr im Electric Room präsentiert habt, sind auch ein paar dabei, die nun im Ausland leben und arbeiten. Warum ist es für sie trotzdem noch so wichtig, ihre Arbeit nach wie vor  in eurer Galerie in Teheran auszustellen?

AZ: Electric Room hat es ermöglicht, deren Arbeit in einer viel weiteren Bahnbreite zu zeigen und mit einem sehr detaillierten Programm.

Viele dieser Künstler wollten Teil dieses einzigartigen Erlebnisses und Programmes sein.

Ihr arbeitet an Kunstprojekten mit Electric Room und mit der Dastan Galerie, die ein sehr hohes Niveau haben, und ihr euch damit einen Namen in der internationalen geschaffen habt. Wo liegt aber der Ursprung eurer Liebe zur Kunst?

AZ: Für mich besteht bildende Kunst aus einer Kombination von akademischer Arbeit (Schreiben, kritische Theorie) und praktischer Arbeit.

Soviel auch Theorie und Literatur uns Einblick in die Welt geben kann, so gibt jedoch Kunst bessere Möglichkeiten, einen Dialog und eine Kommunikation herzustellen.

HH: Mein Großvater war ein hochrangiger General vor der Revolution. Nachdem der Shah gestürzt worden ist, hat er die Armee verlassen und sich der Malerei zugewandt. Er wurde so zu einem Autodidakt, zu einem Amateurkünstler.

Jedes Mal wenn ich ihn in seinem Haus im Chorasan besuchte, war ein Zimmer seiner Malereien gewidmet, ein anderes seiner Kalligraphie und wieder ein anderes war sein Musikzimmer, in dem er all seine Instrumente hatte.
In diesem Haus herrschte für mich eine Art von Zauber. Und ich sah wie Kunst sein Leben gerettet hatte.

Hat Trumps Politik gegen den Iran dem Boom iranischer Kunst ein Ende gemacht?

AZ: Nein, wahre Künstler finden immer einen Weg, ihre Ideen ausdrücken zu können. Gibt es keine hochqualitativen Malfarben oder kein Zeichenpapier mehr, dann werden sie halt eben billigere kaufen. Aber all das wird sie nicht davon abhalten, weiterhin kreativ zu sein, Künstler zu sein.

Nach diesen so 50 intensiven Wochen, dieses einzigartige Kunsterlebnis Electric Room Woche für Woche aufs Neue auf die Beine zu stellen, wie habt ihr euch eigentlich bei der allerletzten Ausstellung von Electric Room gefühlt?

HH: Sehr emotional.

AZ: Anfangs wußte ich nicht, wie ich mich fühlen sollte, aber der letzte Tag war wirklich sehr traurig. So sehr ich auch überzeugt war, dass dieses Projekt ein Ende haben musste, so sehr fiel es mir trotz allem schwer, Abschied zu nehmen.

Kredit:
Alle Fotos von Hormoz Hematian und Ashkan Zahraei:  Roxana Fazeli
(mit Atefeh Majidi Nezhads Werk „Revision: Zero-G“)
Alle Fotos von Ausstellungen im Electric Room: Dastan Gallery
Foto Ausstelung  1: „Unsafe zone/domestic production“ by Amin Akbari
Foto Ausstellung 2: „The champion“ by Mohammad Hossein Gholamzade
Foto Ausstellung 3: „We are“ by Sina Choopani
Foto Ausstellung 4:  „Memebrain“ by Taba Fajrak & Shokoufeh Khoramroodi
Foto Ausstellung 5: „Inevitably inescapable“ by Siavash Naghshbandi
Foto Ausstellung 6:  „Tehran UFO project“
Foto Ausstellung 7:  „Tangab“ by Meghdad Lorpour
Foto Ausstellung 8: „Mutual tongue“ by Milad Nemati
Foto Ausstellung 9: „The shaving“ by Farrokh Mahdavi
Foto Ausstellung 10: „Interview“ by Sepideh Zamani
https://dastan.gallery
Electric Room
Text: Anahita Vessier
Übersetzung: Anahita Vessier

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CHRISTELLE TÉA, Das Geheimnis der enthüllten Wirklichkeit

CHRISTELLE TÉA, Das Geheimnis der enthüllten Wirklichkeit

Das erste Mal, als ich Christelle Téa traf, war ich überrascht über dieses außergewöhnliche Wesen, das einer Chinesin der 30er Jahre gleicht, mit einem Gesicht zart wie Porzellan, eine exzentrische Hutkreation am Kopf tragend und gekleidet mit einem kleinen Schwarzen. Sie erinnerte mich dabei an die weibliche Hauptfigur in Marguerite Duras «  Der Liebhaber ». Es war dieser Kontrast zwischen der extravaganten Erscheinung und dieser juvenilen Art gemischt mit einer naiven Aufrichtigkeit, der mich besonders verwundert hat.

Von Natur aus schüchtern und diskret, entdeckte ich während unseres Fotoshootings in den Beaux-Arts de Paris das andere Gesicht Christelles, deren so zarter Körper, sobald sie vor der Kamera steht auf einmal eine Stärke und unerwartete Selbstsicherheit ausstrahlt. Christelle weiß, mit ihrem Image zu spielen.

Vom Schicksal zur Kunst geführt getrieben von ihrem außergewöhnlichen Talent, enthüllt Christelle Téa in ihrem Werk auf eine virtuose Art und Weise die Wahrheit eines Moments mit all seinen Details und läd den Betrachter ein, diesem Augenblick immer und immer wieder gegenüber zu stehen und ihn zu beobachten.

Woher kommt deine Leidenschaft für das Zeichnen?

Ich zeichne seit ich klein bin. Meine Eltern führten ein chinesisches Restaurant, wo ich all meine Nachmittage mit meiner Schwester nach der Schule verbrachte. Wir haben uns dort so gelangweilt. Eines Tages habe ich darüber mit meiner Mutter geredet, worauf sie mir ihren Block und Stift, mit denen sie die Bestellungen notierte, in die Hand drückte. Und ab diesem Moment habe ich nur gezeichnet.

Zeichnen war für mich nicht nur eine Beschäftigung sondern auch eine Möglichkeit, mich auszudrücken, da ich auch noch sehr schüchtern war. Ich war ein sehr stilles und diskretes Kind.

Darüber hinaus sprach ich bis zum 7. Lebensjahr kein einziges Wort Französisch, auch wenn ich in Frankreich geboren bin und immer hier gelebt habe.

Zuhause wurde nur Teochew gesprochen, ein Dialekt der Provinz Guangdong im Süd-Osten Chinas.

Also fühlte ich mich am Anfang meiner Schullaufbahn wie eine Außerirdische, da ich überhaupt nicht verstand, was die Lehrer und die Kinder zu mir sagten.

Das Zeichnen half mir, aus dieser Blase auszureißen, mich auszudrücken, mich zu verständigen. Es war für mich ein richtiges Ausdrucks- und Kommunikationsmittel.

So hast du also schon damals beschlossen, Künstlerin zu werden?

Meine Mutter sagt immer, wenn sie das gewußt hätte, hätte sie mir eher einen Taschenrechner gegeben; und für meinen Vater war der Künstlerberuf absolut keine Möglichkeit, um Geld zu verdienen.

Ich habe Da Vincis Mona Lisa und Picasso erst im Gymnasium im Kunstunterricht entdeckt.

Und einige Jahre später hatte ich das außerordentliche Glück im Beaux-Arts de Paris aufgenommen zu werden. Das ist ein regelrechtes Paradies, um Kunst zu studieren. Man kann dort aussuchen, was man will, Fächer zusammenwürfeln, wie man will, experimentieren, und das in einem atemberaubenden Rahmen.

So hat mich also das Schicksal zur Kunst geführt.

Du hast während deines Studiums bei einem Austauschprogramm mit der Kunstuniversität von Peking mitgemacht. War diese Erfahrung auch eine Gelegenheit wieder zu deinen chinesischen Wurzeln zurückzukehren?

Absolut!
Diese sechs Monate haben mir geholfen, wieder eine Verbindung mit meiner chinesischen Herkunft aufzubauen. Auch habe ich einen großen Unterschied zwischen der chinesischen und französischen Lehrmethode feststellen können.

Während meines Studiums in China, durfte man nur eine einzige Technik lernen, und auf jedenfall nicht mehrere mischen. Dies half mir, eine Disziplin richtig zu beherrschen. Ich wählte das Fach der Holzstichkunst mit Meister Xu.

Wenn ich etwas Freizeit hatte, packte ich meine Zeichenutensilien und ging in der Stadt spazieren. Ich fühlte mich frei wie ein Vogel!

Ich zeichnete in den Straßen, auf den Märkten, in den Museen und in den Hutongs, den engen Gassen Pekings.

Du bist also immer mit einem Zeichenbrett, Papier und einer Füllfeder ausgestattet. Das ist ja ein richtiges mobiles Atelier! Hättest du gerne einen fixen Ort zum Zeichnen? 

Während meiner Künstlerresidenz im Museum Jean-Jacques Henner in Paris, wurde mir während der sechs Monate dort sogar ein Atelier zur Verfügung gestellt, aber es blieb die meiste Zeit leer, da ich es kaum in Anspruch nahm.

Für meine Arbeit brauche ich Leben, Bewegung.

Dieses Leben, diese Bewegung, wovon du redest, fängst du heute in deinen Porträts ein, die du von Personen direkt und ohne Skizze machst. Du zeichnest sie in situ in ihrem Haus, auf ihrem Arbeitsplatz, wo dir kein Detail entgeht. Ist es wichtig für dich, daß die Leute, die du porträtierst, mit dem Resultat zufrieden sind?

Nein.

Ich versuche überhaupt nicht, die Person mit meiner Zeichnung zu preisen und zu loben.

Was mich eigentlich interessiert in diesen Porträts ist die Welt, die das Model herum umgibt, die unmittelbare Wirklichkeit mit all ihren Einzelheiten, die nicht gesehen werden dürfen, die aber existieren, wie der Kabelsalat unter einem Schreibtisch aus Ebenholz aus der Ludwig XV Epoche oder ein Klavier, das nicht das Staubsaugerrohr verdecken kann.

Genau da befindet sich ein Teil der Wirklichkeit, in diesen kleinen Details.

Diesbezüglich mag ich besonders das Zitat des Fotografen Garry Winograd, der sagte:

« Es gibt nichts geheimnisvolleres als klar beschriebene Fakten.»

Ich versuche ganz und gar nicht der Person, die ich illustriere, zu schmeicheln und auch nicht eine fotorealistische Reproduktion von ihr und ihrer Umgebung zu machen. Sie ist fast wie ein Element von vielen in dieser Komposition, in der jedes Objekt, jedes Buch, jedes Musikinstrument, jedes Gemälde mit der gleichen Genauigkeit und Sorgfältigkeit gezeichnet wird.

Und wenn du mal nicht zeichnest? 

Und wenn ich mal nicht zeichne, dann studieren ich Operngesang im Konservatorium des 16. Arrondissements im Kurs von Alexandra Papadjiakou.

Musik und Zeichnen sind sehr wichtig und ergänzend für mich. Beide sind eine Art Hafen der Kreativität und des künstlerischen Ausdrucks.

Übrigens sind aus dieser Leidenschaft für die Musik heraus meine großen Fresken entstanden. Inspiriert wurde ich von Offenbachs Oper « Hoffmanns Erzählungen » und Gounods « Faust ».
In diesen Werken habe ich mich auch selber in Szene gesetzt.

Da du ja so Kunst und Musik begeistert bist, welche Künstler faszinieren dich?

In der Musik, Bernstein, Mozart, Puccini.

In der Kunst, Hockney, Dürer und Sam Szafran, in dessen Werk Details eine große Rolle gespielt haben, und der nie zu seinen eigenen Vernissagen ging.

Und du, gehst du zu deinen eigenen Vernissagen?

Ja, natürlich.

Es ist mir wichtig zu sehen, wer sich für meine Kunst interessiert.
Und auch aus Respekt für die Leute, die extra den Weg gemacht haben, um mich kennenzulernen und meine Arbeit zu entdecken.
Darüber hinaus ist es eine schöne Gelegenheit, Zeit mit Freunden zu verbringen.

Was fällt dir spontan ein, wenn du an den Iran denkst?

Ich denke an den Fotografen Ali Mahdavi, den ich auch schon porträtiert habe.
Ich bewundere seine Arbeit.

Kredit:
Alle Fotos von Christelle Téa:  Marion Leflour
Alle Zeichnungen: Christelle Tea
Zeichnung 1: Jean Michel Frouin, Künstler Maler und Tischler, 2015, Tinte auf Papier, 65 x 50 cm
Zeichnung 2: Morphologie Galerie im Beaux-Arts Paris, 2012, Tinte auf Papier, 50 x 65 cm
Zeichnung 3: 2 für 1 am Markt Xiyuan, 2014, Tinte auf Papier, 301 x 412 mm
Zeichnung 4: Cécile Guilbert, Schriftstellerin, 2015, Tinte auf Papier, 65 x 50 cm
Zeichnung 5: Koncert von Christophe Chassol, Komponist-Musiker, im Silencio Paris 2018, Tinte auf Papier
Zeichnung 6: Das letzte Urteil und der Colleone, Petits-Augustins Kapelle im Beaux-Arts Paris, 2012, Tinte auf Papier, 50 x 65 cm
Zeichnung 7: Ali Mahdavi, plastischer Künstler, Regisseur und Art Director der Revue „Désirs“ im Crazy Horse, 2015, Tinte auf Papier
Besonderen Dank an Valérie Sonnier et Philippe Comar der Beaux-Arts de Paris für die Erlaubnis des Fotoshootings von Christelle Téa in der Morphologie Galerie.
https://christelletea.com
Text: Anahita Vessier
Übersetzung: Anahita Vessier

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AMIN MONTAZERI, Märchen und Mythen der Melancholie

AMIN MONTAZERI,
Märchen und Mythen der Melancholie

Die iranische Kunstszene hat außerordentliche Künstler, die einen Weg finden, ihr üppiges persisches Kulturerbe mit moderner westlicher Kunst zu verknüpfen. Amin Montazeri ist definitiv einer dieser neuen Talente, den wir weiter im Auge behalten sollten.

Als ich die Arbeiten des jungen Künstlers aus Teheran entdeckte, war ich von der mysteriösen, umfangreichen und apokalyptischen Atmosphäre seiner Bilder beeindruckt. Sie berührten mich mit ihrer Melancholie. Seine Arbeiten sind so intensiv und obskur wie die von Pieter Brueghel oder Hieronymus Bosch.

Amin Montazeris Haupt-Thema ist Geschichte und die Rolle der Märchen, Legenden und Mythen in der Geschichte. Jeder trifft in seinem Leben auf diese Märchen, aber manchmal versuchen die Menschen, vor ihrem Schicksal zu fliehen, ändern es und schreiben die Geschichte neu. Was sind die Konsequenzen und was für ein Märchen entsteht aus so einer Änderung?

Er hinterfragt in seinen Arbeiten auch die Wiederholung der Geschichte, die aus der zu beobachtenden Vergesslichkeit der Menschen herrührt, sogar wenn es sich dabei um schmerzvolle und furchtbare Erfahrungen handelt.

Amin Montazeri wurde 1992 geboren und macht gerade seinen MA in Malerei am College für Bildende Künste in Teheran. Seine nächste Ausstellung findet im Oktober in der Dastan Galerie in Teheran statt und vielleicht ist er auch bei der Art Dubai in diesem Jahr dabei.

Credits:
All works by Amin Montazeri
Text: Anahita Vessier
Übersetzung: Ulrike Goldenblatt
http://www.instagram.com/aminmontazery/

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SILIA KA TUNG, Phantasie ist die Realität der inneren Welt

SILIA KA TUNG, Phantasie ist die Realität der inneren Welt

Silia Ka Tung ist eine chinesische zeitgenössische Künstlerin, die in London lebt. Ihre Arbeiten gleichen einem psychodelischen Ballett organischer Formen in satten Farben, die mit mysteriösen Figuren aus der antiken Mythologie zu tanzen scheinen. Die Mischung dieses modernen Traumlandes und die Einflüsse der Kultur und Tradition Chinas machen Silia Ka Tungs Arbeiten so hypnotisch und einzigartig.

Was beeinflusste deine Entscheidung, Künstlerin zu werden?

Mein Großvater mütterlicherseits war ein etablierter Traditionsmaler in China, also lag es schon in der Familie.

Ich wollte eigentlich Designerin werden. Als ich nach der Oberschule zu einem Interview an die Design-Schule ging, sagte man mir, ich solle Kunst studieren, wenn meine Eltern mich dabei unterstützen. Das war das erste Mal, dass ich darüber nachdachte.

Dann hast du Ölmalerei an der chinesischen Akademie für Bildende Künste in HangZhou studiert und danach einen Masters an der renommierten Slade School of Fine Arts in London absolviert. Unterscheidet sich die Art des Unterrichtens in China von der in England?

Ich lernte ein Jahr in der Kunstschule in China, nachdem ich am Chelsea College für Kunst in London akzeptiert wurde, weil mein Vater der Meinung war, dass ich vorher noch etwas „chinesische Kultur“ lernen sollte. Deswegen besuchte ich einen Grundkurs für Kunst in China bevor ich für meinen BA nach London ging.

„Der Unterrichtsstil in China unterscheidet sich sehr von dem in England. In China musste ich jeden Tag malen und der Unterricht war sehr akademisch. Man lernt alles in Gruppen, der Lehrer kommt und korrigiert deine Fehler und sagt dir, was du tun musst.“

Die Kunstschule in London war freier und hat Spaß gemacht. Der Unterrichtsstil ist sehr zwanglos und inspirierend, aber man war die meiste Zeit auf sich selbst gestellt.

Du hast dich in deiner Kunst sehr weiterentwickelt. Deine früheren Werke waren meistens schwarz-weiße Linienzeichnungen, doch dann haben sich die figürlichen Linien aufgelöst und wurden zu diesem wunderschönen Ballett aus Farben, abstrakten organischen Formen, die die ganze Leinwand bedecken.

Bei deinen letzten Arbeiten hast du von der Malerei zum Experimentieren mit Materialien gewechselt und machst jetzt weiche Skulpturen von Phantasie-Tieren und organischen Formen wie Äste von Bäumen. Warum hast du gewechselt?

„Zeichnen oder Doodling ist immer Teil meines Lebens… Das mache ich automatisch, sobald ich einen Stift in der Hand halte.”

Für meinen BA-Abschlussarbeit am Chelsea College entschied ich mich, eine kleine Zeichnung zu etwas Großem weiterzuentwickeln, und diese lebensgroßen Portraits, gefüllt mit Zeichnungen, begleiteten mich bis ins zweite Jahr meines Masterstudiengangs am Slate College. Aber dann wollte ich etwas anderes ausprobieren. Ich wollte „Game Paintings“ machen. Farbenfrohe, satte Malerei direkt auf die Leinwand aufgebracht, wie beim automatischen Zeichnen.

Malen ist für mich wie ein Spiel, mit Chancen und Spaß und ich male immer um die Ecken herum. Also fühlte ich mich langsam hingezogen, Objekte zu bemalen. Ich begann, weiche Skulpturen zu machen und sie anzumalen. Da bin ich jetzt angekommen.

Hat Mutterschaft deine Arbeit und deine Inspirationen verändert?

Muttersein ist für mich als Künstlerin schwer, weil man seine Prioritäten verändert und auch die Balance. So gerne ich auch mit meinen zwei Töchtern zusammen bin, ich tue mich schwer als Künstlerin. Aber die Zeit hilft und langsam bekommt man die Balance wieder und hoffentlich hat das Muttersein dann einen positiven Einfluss auf meine Arbeiten.

Gibt es ein Zitat, an das du bei deiner Arbeit denkst?

„Unsere innere Welt ist Realität, und das vielleicht mehr als unsere Außenwelt. ”

Marc Chagall

Wenn du an einem neuen Kunstwerk arbeitest, zeigst du deinem Künstler-Ehemann Gideon Rubin deine halbfertigen Arbeiten oder bleibst du lieber in deiner eigenen kreativen Blase?

Wir teilen ein Studio, deswegen zeigen wir einander oft, woran wir arbeiten, besonders wenn meine Arbeiten so lange brauchen. Ich zeige sie ihm hauptsächlich, um seine Meinung zu hören, egal ob das Werk fertig ist oder nicht.

Arbeitest du an einer neuen Ausstellung?

Ich beende ein paar Arbeiten für eine Gruppenausstellung in Amsterdam namens “Vater, Mutter, Tochter, Sohn“, die von Mette Samkalden bei Canvas Contemporary kuratiert wird. Die Ausstellung eröffnet am 14. Januar 2017 und dauert bis Mitte Februar.

Was assoziierst du mit Iran?

Ich war noch nie im Iran, also habe ich alles, was ich über das Land weiß, von Freunden gehört, in Filmen gesehen, Nachrichten, Instagram. Ja, ich habe auf Instagram ein paar Mal den Hashtag Iran verwendet und bin dadurch zu sehr merkwürdigen Orten gekommen. Es ist ein großes Land, reich an Kultur und Geschichte, wunderschön und mysteriös. Ich fände es schön, es mal zu besuchen.

Kredit:
Alle Arbeiten von Silia Ka Tung
Text: Anahita Vessier
Übersetzung: Ulrike Goldenblatt
http://www.siliakatung.com/

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SLAVS AND TATARS, Eine neue Vision Eurasischer Kunst

SLAVS AND TATARS, Eine neue Vision Eurasischer Kunst

Slavs and Tatars ist eine Kunstkollektive, die vom polnisch-iranischen Duo Kasia und Payam gegründet wurde. Die beiden widmen ihre Arbeiten einem Gebiet östlich der Berliner Mauer und westlich der großen chinesischen Mauer.

Anahita’s Eye folgt seit langem den Arbeiten des Duos und hatte die Chance, die beiden zu interviewen, als sie ihre Ausstellung „Afteur Pasteur“ in der Tanya Bonakdar Galerie in New York vorbereiteten.

Warum habt ihr den Namen ‚Slavs and Tatars‘ (Slawen und Tatare) gewählt? Und warum die Zuneigung zu einem Gebiet „östlich der ehemaligen Berliner Mauer und westlich der großen chinesischer Mauer“?

Normalerweise wird ein Name für das gewählt, was man repräsentiert und wen man darstellen will. Wir haben uns für ‚Slavs and Tatars‘ aus dem entgegengesetzten Grund entschieden. Unser Name ist ein Mission Statement: wir wollen uns einer Gegend zuwenden, die gleichzeitig politisch und imaginär ist, aber auch durch die „Ritzen unsere Amnesie-Dielen“ rutscht und in somit in Vergessenheit gerät.

„Dieses Gebiet ist hauptsächlich muslimisch aber nicht mittel-östlich, man spricht viel Russisch, aber es ist nicht Russland, und obwohl große Teile in Asien liegen, gehörte nur ein kleiner Teil (Xinjiang) historisch zu China.“

Es gibt natürlich auch ein humoristisches Element hier. Wir haben Slavs and Tatars 2006 gegründet, kurz nachdem die neuen Mitgliedsstaaten 2004 in die EU aufgenommen wurden. Zur Erinnerung, es gab ziemlich viele Vorurteile gegen und fast schon Hysterie über dieses „andere“ Europa, also die osteuropäischen Staaten, die dem „exklusiven Club“ der restlichen Europäer beitreten sollten. Es gab den berühmten polnischen Installateur, den bulgarischen Bauarbeiter etc… Der Name ‚Slavs and Tatars‘ spielt mit dieser Angst – im zeitgenössischen und historischen Sinne – als ob es Horden gab, die da warteten, um zu vergewaltigen und zu plündern wie bei Braveheart.

Unser Name ‘Slavs and Tatars‘ ist keine Identität, im Gegenteil, er markiert den Kollaps der Identitäten. Sogar zwischen ‚Slawen‘ und ‚Tartaren‘ gibt es eine ganze Geschichte an Konfluenz und Spannung. Nur durch die Ansammlung verschiedener Identitäten – und dem Ausgleichen der Spannungen zwischen ihnen – kann man beginnen, sich über die reduzierende und brüchige Identitätspolitik hinwegzusetzen, die uns bis heute plagt.

Kannst du etwas zu eurem kreativen Prozess sagen? Was sind eure Inspirationen? Warum habt ihr euch am Ende für Skulpturen als Hauptausdrucksmittel entschieden?

Skulpturen, Installationen und Ausstellungen sind nur ein Teil und stehen nicht unbedingt im Vordergrund. Wir halten auch Vorträge, machen Performances und publizieren.

Zurzeit halten wir 2-3 Vorträge im Monat an verschiedenen Orten, von Universitäten bis zu Kunst-Institutionen. Normalerweise haben wir einen dreijährigen Zyklus. Die ersten beiden Jahre sind der Forschung eines Themas gewidmet: zuerst kommt die bibliographische Forschung, z.Bsp. Türkische Sprachpolitik oder das mittelalterliche Genre der politischen Ratgeberliteratur, die man auch als „Spiegel der Prinzen“ kennt. Dann folgt die Feldforschung, z.Bsp. in Xinjiang, um die Ideen praktisch auszuloten, die wir analytische bearbeitet haben. Dann kommt die entscheidende Frage:

„Was bringen wir als Künstler auf den Tisch, das sich von der Arbeit der anderen, Politiker, Forschern und Aktivisten etc. unterscheidet?“

Die Übertragung dieser Forschungsarbeiten in die Kunst ist vielleicht das Schwierigste von allem. Am Anfang haben wir ausschließlich mit Drucken gearbeitet. Das heißt, wenn jemand sich mit unserer Kunst befassen wollte, musste er lesen. Es gibt wenige Sachen, die so unerfreulich oder unaufmerksam gegenüber dem Publikum sind, als etwas zum Lesen an die Wand zu hängen. Obwohl wir in der Praxis besser wurden, wir nahmen Skulpturen, Installationen und Performances dazu, sind Wände für uns nicht attraktiver geworden. Wenn wir im Zeitalter der visuellen Übersättigung leben, dann sind wir unter den (vielen) Schuldigen, die das möglich machten!

Unter den drei Achsen unserer praktischen Arbeit, sind es die Vorträge und Publikationen, in denen wir eine Reihe von Bedenken äußern, die unsere Skulpturen und Installationen Stück für Stück wieder auseinandernehmen. Das heißt nicht, dass man schweigen sollte, sondern es geht um das Rückgängig machen, um das Auftrennen dieser Ideen, wie beim losen Faden eines Strickpullovers.

Hast du ein Lieblingszitat, das dich inspiriert?

„Gib die Welt auf. Gib die nächste auf. Gib das Aufgeben auf.”

Thomas Merton

Hat jeder von euch eine definierte Rolle bei „Slavs and Tatars”?

Ja, aber wir redigieren einander rigoros.

Bei vielen eurer Installationen ladet ihr das Publikum ein, mit den Werken zu interagieren, sie anzufassen, darauf zu sitzen oder zu liegen, darüber zu diskutieren. Ist diese direkte Konfrontation und die Erfahrung, die viele Leute mit euren Kunstwerken machen, ein wichtiger Teil eures künstlerischen Konzepts?

Auf jeden Fall. Es ist auch eine Verpflichtung der Idee des Nachdenkens gegenüber, welches sich in Kunsträumen abspielt. Zu oft kann man sich im Museum nur im Café hinsetzen oder auf eine der seltenen Bänke vor einem Meisterwerk. Wenn Kunst eine transformative Rolle spielen soll, und nicht nur eine bildende oder unterhaltende, dann muss der Ort der Kunst gastfreundlicher werden.

Slavs and Tatars sprechen so viele verschiedene Sprachen: Farsi, Polnisch, Englisch, Französisch, Russisch etc. Sprache und linguistische Komplexität sind wichtige Themen in eurer Arbeit. Wo kommt das große Interesse an Sprachen her?

Übersetzung wird zur Form linguistischer Gastfreundschaft, um es mit Paul Ricoeurs Worten zu sagen. Wir laden den ANDEREN in unsere Sprache ein und verleihen uns selbst an die Sprache des ANDEREN. Wir werden in jeder Sprache zu anderen Menschen: Zum Beispiel ist unser Sinn für Humor im Französischen dem im Russischen oder Persischen überhaupt nicht ähnlich.

„Sprache erlaubt es dir, dich selbst zu “ändern”, der “andere” zu werden.”

Ist Humor eine essentielle Zutat in euren Kunstwerken?

Absolut. Humor hat immer eine sehr wichtige Rolle in unserer Arbeit gespielt, als entwaffnende Form der Kritik, als Verlängerung der Großzügigkeit, als Indikation für Infra-Politik, wie James Scott sie definiert: das versteckte Transkript, die geflüsterten Geschichten.

„Jeder Witz ist eine kleine Revolution“

sagte Orwell, mehr als die oft konfrontative sichtbare Politik des Marsches, der Nachrichten oder des Staates.

Welche Projekte können wir von euch in der Zukunft erwarten?

Im Moment bereiten wir unsere erste Show in der Tanya Bonakdar Galerie in New York vor. Darin geht es um sauergewordene Politik oder um die Neubewertung unserer Beziehung zum „Anderen“, indem wir unsere Beziehung zum Original-Fremden betrachten: die Mikrobe und Bakterie. Wir arbeiten auch an einer Retrospektive für 2017-2018 unserer Arbeiten zwischen Warschau, Vilnius und vielleicht Istanbul.

Ihr lebt sehr kosmopolitisch, eure Kunst wird auf Kunstmessen und Ausstellungen in der ganzen Welt gezeigt. Gibt es ein spezielles Objekt, das euch auf euren Reisen um die Welt begleitet?

Wir versuchen, so oft es geht, mit frischen Kräutern zu reisen – ein Bündel Estragon und Koriander – damit wir den Stress beim Essen in Zügen, Flugzeugen und Autos abmildern können.

Slavs and Tatars, was assoziiert ihr mit Iran?

Maulbeeren.

Kredit:
Alle Arbeiten von Slavs and Tatars
– Kitab Kebab, 2016 – fortlaufend
– Friendship of Nations: Polish Shi’ite Showbiz, Herausgeber: Book Works / Sharjah Art Foundation
– Mother Tongues and Father Throats, Galerie Moravian, Brünn (2012)
– Dig the Booty (2009)
– Pray Way (2012)
– Installation im Trondheim Kunstmuseum
– Links: Larry nixed, Trachea trixed (2015) rechts: Tongue Twist Her (2013)
– Lektor, Soundinstallation, Leipzig (2014-15)
– AÂ AÂ AÂ UR, Skulpturpark Köln (2015)
Text: Anahita Vessier
Übersetzung: Ulrike Goldenblatt
http://www.slavsandtatars.com

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